Dienstag, 19. Juli 2022

Abschied und Hoffnung - Rozžohnowanje a nadźija (3)

Hier der Text der Predigt des Bischof Dr. Christian Stäblein zum Jubiläum Mühlrose

Liebe Gemeinde heute, Bürgerinnen und Bürger aus Mühlrose, Alt- und Neu-Mühlrose, aus Schleife, von fern und nah, liebe Schwestern und Brüder,
das dritte oder vierte Mal bin ich jetzt hier bei Ihnen, bei Euch, ich weiß es gar nicht so ganz genau, ich bin so gern wieder hier. Ich will als erstes danken, dass ich kommen darf. Ihr seid mir seit meinem ersten Besuch - da haben wir an 50 Jahre Teilumsiedlung erinnert, es war der 4. September 2016, das weiß ich noch genau - Ihr seid mir seit diesem Besuch doch ziemlich ans Herz gewachsen. Das Wunderbare ist: Ihr seid da, mancher würde wohl sagen: Ihr seid noch da, aber nein, ich möchte nur so sagen: Ihr seid da, Mühlrose ist da. Mit all dem Zerreißenden seitdem und davor, mit all den Fragen an die Zukunft, mit all der Bereitschaft loszulassen, anzupacken, sich auseinander zu setzen, mit all dem Schweren und dem Schönen. Und Ihr feiert das heute, dass Ihr da seid. 645 Jahre Mühlrose steht auf den Plakaten, die mir zugeschickt wurden.

Nun habe ich die Woche gehört, so sicher ist das mit dieser Zahl 645 gar nicht. Vielleicht ist es doch eine Verwechslung in der Quelle, aus der das kommt. Vielleicht ist damit das Mühlrose im Norden im Schlaubetal gedacht, das sich zwar anders schreibt - aber nun, wie man’s schreibt, das wechselt ja alle paar Jahrhunderte. Vermutlich ist das Mühlrose hier noch viel älter. Und wird es auch noch: viel älter. Denn eines ist klar: Ihr seid es. Neu- und Alt-. Mühlrose, das sind seine Menschen, wo immer sie sind, wo immer Ihr seid. Danke, dass ich das mit Euch feiern darf.

Ihr habt schöne, gute Texte aus der Bibel für dieses Fest ausgesucht. Sätze, die gelassen machen, die auf das Wesentliche ausrichten. Wir haben diese Sätze gehört: Alles hat seine Zeit, sagt der Prediger aus dem Alten Testament. Abschied und Hoffnung, so steht es über diesem Gottesdienst und diesem Fest, haben auch ihre Zeit. Für beides nehmt ihr euch die Zeit. Es sind gute Worte dieses Menschen namens Prediger von vor 2500 Jahren, weil sie einen für einen Moment in den Lauf des Lebens einstimmen lassen. Sterben und Leben hat seine Zeit. Ausreißen und sammeln. Krieg durchstehen und Frieden finden - oh ja, das geht uns im Moment besonders nahe.

Alles begleitet Gott, durchdringt er. Sorgen ist wichtig. Zersorgen hilft niemandem. Das sagen auch die Worte, die ihr aus dem Neuen Testament dazu getan habt. Sorgen, Vorsorgen ist wichtig. Aber am Sorgen kaputt gehen, hilft nicht. Seht die Schöpfung. Die Schöpfung? Ich höre diese Sätze als Freiheitsworte. Wie immer dieser oder jener zu den Euch seit Jahrzehnten umtreibenden, nicht enden wollenden existentiellen Fragen steht, umsiedeln, nicht umsiedeln, Abschied nehmen von Alt-Mühlrose, nicht Abschied nehmen, wie immer jeder und jede dazu steht: Es ist wichtig, es ist sehr wichtig. Aber keiner soll daran kaputt gehen. Ihr wollt Euch davon nicht kaputt machen lassen, Eure Gemeinschaft nicht kaputt machen lassen. Das höre ich aus den biblischen Worten heute. Das höre ich als erstes.

Und nun will ich noch etwas dazu tun zu dem. Der Bibeltext für den heutigen Sonntag im Kirchenjahr, 3. Sonntag nach Trinitatis, steht beim großen Propheten Ezechiel, er kommt etwas sperrig in seinen Sätzen daher, aber ich sage mal vorweg: er ist ganz aktuell. Und deshalb lese ich ihn: Und des Herrn Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden«? So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: Dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben. Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. (…) Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn ich habe kein Gefallen am Tod dessen, der sterben müsste, spricht Gott der Herr. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.

Ich gebe zu, das klingt auf das erste Hören ein wenig sonderbar. Und so richtig festlich will es auch nicht scheinen. Aber ich sage Euch: es ist eine durch und durch gute Botschaft, gerade hier, gerade heute. Warum? Das will ich versuchen kurz zu erläutern.

Also das Sprichwort. Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne stumpf geworden. Das meint wohl etwa folgendes: Weil die Elterngeneration, weil die Vorfahren dies und das getan haben, haben die Kinder keine Zukunft mehr. Auf die Situation des Propheten übertragen meint das - Ezechiel lebt etwa 600 Jahre vor Christus und gehört zu denen, die mit dem Volk ins Israel ins Exil verschleppt wurden - auf seine Situation übertragen heißt das: die Menschen im Exil in Babylon sagen: weil unsere Väter und Mütter so falsche Politik gemacht haben, unsozial, hochmütig, und weil sie von der großen Politik verschaukelt wurden, mit falschen Versprechungen und Illusionen, deswegen sitzen wir jetzt in der Fremde, in der Sackgasse, haben keine Zukunft. Sie haben nicht aufgepasst und so Gegenwart und Zukunft verspielt. Auf uns heute übertragen könnte das dann wohl so klingen: Die Eltern und Großeltern haben so lange, viel zu lange die Rohstoffe vernutzt, die Erde ausgebeutet, die Zeichen der Zeit nicht erkannt - die Kinder haben nun keine Zukunft. Das sage und hören wir doch jeden Tag, oder? Das habt Ihr auch schon gehört, gesagt, gedacht, nicht wahr? Stimmt ja auch.

Und nun sagt Gott, so berichtet es Ezechiel: Die Redeweise, das Sprichwort soll nicht mehr gelten. Und zwar nicht, weil es nicht wahr wäre, es ist ja richtig. Was wir tun, spüren unsere Kinder. Und was wir lassen, spüren unsere Enkel erst recht. Aber, sagt Gott durch Ezechiel, aber: Es soll keine Ausrede sein, keine Entschuldigung für uns jetzt. Es geht nicht darum, die Eltern und Großeltern, die alles so gut getan haben, wie sie es konnten und wussten, zu verdammen. Und ich sage mal dazwischen: Die Kohle war wichtig - sie ist es, wie wir wissen, gerade jetzt möglicherweise noch mal aus ganz anderen Gründen. Und dennoch: der Ausstieg, die Transformation hat längst begonnen, muss es, dringend, um der Schöpfung willen, wir sehen die Zeichen der Zeit, es scheint  vielfach fast schon zu spät. Deshalb: Die Hände in den Schoß legen, weil man angeblich eh nichts mehr tun kann? Nein! Gott sagt: Es ist Zeit, umzukehren. Es ist längst Zeit, dass Gott unser Herz wendet. Es ist Zeit für die Transformation. Gott sagt: Die umkehren, machen mir die größte Freude im Himmel. Ich schenke ihnen ein neues Herz, sie können dann machen, was dran ist.

Es ist ja tatsächlich so, dass der Glaube an diesen Gott in der Zeit des Exils 550 vor Christus noch mal richtig neu geworden ist. Mancher sagt: da hat der Glaube an diesen Gott, der größer ist als die Schöpfung, erst richtig begonnen. Mancher sagt: in der Umkehr liegt der Anfang des Glaubens, nirgendwo anders. Und es waren die Familien im Exil in Babylon, gar nicht viele Familien womöglich, die damals durchgehalten und den neuen Anfang haben lebendig werden lassen. Ein kleiner Rest war das damals. Und es hat neu angefangen.

So, liebe Mühlroserinnen und Mühlroser, das hört Ihr nun, wie Ihr es hören wollt. Und wenn Ihr wollt, ist es nicht furchtbar schwer zu übertragen. Ihr feiert heute, dass es Mühlrose gibt. Hier und in Euren Herzen. Und ich wünsche mir, dass ich wieder und wieder komme und Ihr seid hier. Und eines Tages, ich bin dann vielleicht schon nicht mehr, aber das ist nicht wichtig, aber eines Tages kommt ein Gast aus Berlin oder Dresden oder Görlitz - und dann habt Ihr, die Ihr hier geblieben seid, das Haus an der Wasserkante.

Weil der Tagebau aufgehört und das Wasser zurück gekehrt ist. Mühlrose ist geblieben. Und Alt- und Neu-Mühlrose und Schleife und alle feiern das, miteinander und mit den Politikerinnen und Politikern und mit den Menschen, der alten und der neuen Generation. Weil, was sollt Ihr Euch mit stumpf gewordenen Argumenten und Verletzungen beschäftigen?! Ihr wollt und Ihr werdet leben. Hier oder wenn Ihr umsiedelt mit Mühlrose im Herzen. Und einige von Euch erstmal jedenfalls hier. Weil es doch wohl neu anfängt, na klar. Es gibt dieses alte Sprichwort, was nicht mehr gelten soll. Und es gibt ein neues Sprichwort, das ich öfter höre: die beste Zeit einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt. Heißt: Jetzt ist die beste Zeit. Vielleicht kann man sagen: die beste Zeit, auf Mühlrose zu setzen, war vor 50 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt. Also jetzt.

Aber, und deshalb habt Ihr ja Eure biblischen Worte heute ausgesucht: Am Ende ist nur eines entscheidend. Bei Gott sein, bei dem, der das Leben gibt und ist und schenkt. Alle Zeit. Er geht mit Euch. Und sorgt, dass Ihr zusammen bleibt. In aller Freiheit, in allem klaren Blick, welche Wunden das Leben hier geschlagen hat. In aller Klarheit auch, welche Wunden man euch zugefügt habt. In aller Klarheit und in allem Vertrauen: Gott will nicht, dass sich Generation um Generation beschimpft und die Schuld in die Schuhe schiebt. Gott will diese Schöpfung, will Euer und unser Leben. Und so segne Euch Gott und er segne Eure Herzen und in ihnen Euer Mühlrose.

Amen.


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